„Man braucht einen langen Atem – vor allem in der Pflege“
Studierende der DHBW Karlsruhe im Gespräch mit der Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), Christine Vogler
Gespräche mit Experten eines Fachgebietes sind immer hilfreich – besonders für junge Menschen, denen es noch an einem reichen Erfahrungsschatz fehlt. Besonders hilfreich sind solche Gespräche erst recht, wenn diese Experten nichts beschönigen, sondern offen und direkt auch unangenehme Aspekte zur Sprache bringen. Insofern hatten rund ein Dutzend Studierende der Angewandten Gesundheits- und Pflegewissenschaften (6. Semester) und Prof. Dr. Liane Meyer der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe mit Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, einen echten Volltreffer gelandet: In einer Zoom-Konferenz konnten sie mit ihr ausgiebig über Pflege und Gesellschaft diskutieren, drängende Fragen ansprechen und sich Tipps für ihre berufliche Laufbahn geben lassen. Dass es viel zu besprechen gab, stand außer Frage, ist doch der Pflegesektor mehr denn je ein „Sorgenkind“, wie auch die Studierenden, die mit Prof. Dr. Meyer vor Kurzem beim Kongress Pflege in Berlin zu Gast waren, erkannten: „Man hatte bei dem Kongress das Gefühl, dass es nicht viel Neues gibt“, erzählte ein Studierender. „Irgendwie wirkten manche Themen so festgefahren.“ Christine Vogler griff diese Bemerkung dankbar auf und erläuterte, dass dieses Phänomen leider bezeichnend für den Pflegebereich sei: „Ich habe als junge Frau ähnliche Erfahrungen gemacht: Ich hatte das Gefühl, dass ich schon viel gelernt hatte, aber es gar nicht anwenden und am besten auch nicht reden sollte“, sagte sie. „Alles lief immer in eingefahrenen Bahnen und wer mit neuen Ideen kam, der wurde bestenfalls belächelt.“ Genau dies sei aber der Hebel, auf den es ankomme: „Wer nicht kommuniziert, verliert“, betonte Vogler. „Wenn man Ideen hat, muss man diese zu Gehör bringen und darf nicht aufgeben, wenn sie nicht sofort ankommen. Man braucht einen langen Atem – auch und vor allem in der Pflege.“ Sie selbst sei den Weg über die Verbände gegangen, um sich zu engagieren und etwas zu bewegen. „Haben Sie den Mut, dort oder auch bei Parteien, deren Programm Sie anspricht, anzuklopfen“, forderte Vogler die Studierenden auf. „Man wird Sie ganz sicher mit Kusshand aufnehmen, wenn Sie deutlich machen, dass Sie sich einbringen wollen und gute Ideen haben.“
„Wie kann man Pflege in der Öffentlichkeit besser sichtbar machen und mehr Bewusstsein für unsere Berufe schaffen?“ wollte eine Studierende wissen. Christine Vogler wusste Rat: „Legen Sie sich im Kopf Bilder zurecht, bevor Sie ihren Beruf beschreiben“, empfahl sie. „Sie müssen ausdrücken, dass Pflege sehr viel mehr ist als man gemeinhin denkt.“ Sie selbst beschreibe Pflege immer als „Wahrung der Würde des Patienten“. „Ich finde, das drückt gut aus, was wir tun“, sagte sie. „Und wir selbst müssen uns stets bewusst machen, dass, wenn wir diese Arbeit nicht tun, niemand sie tut. Und dann ist die Gesellschaft im Grunde verloren. Das muss im Gespräch zum Ausdruck kommen.“
Auch Christine Vogler selbst hatte einige Fragen an die Studierenden, vor allem im Hinblick auf deren weiteren Werdegang: „Möchten Sie in der Pflege bleiben?“ „Ja, aber ich suche gerade nach Wegen, meine Leidenschaft für die Digitalisierung in diesem Sektor einzubringen“, erzählte ein Studierender. „Aber ich will im Grunde auch das Patientenbett nicht ganz verlassen und am Computer enden. Das ist für mich derzeit ein echter Zwiespalt.“ „Folgen Sie diesem Weg!“ riet Vogler und unterstrich die Wichtigkeit, proaktiv auf potentielle Arbeitgeber zuzugehen: „Sie haben studiert, haben also den wissenschaftlichen Blick gelernt und kennen die Methoden, um Ideen in die Praxis umzusetzen. Es kann nur von Vorteil sein, wenn ein Pflege-Fachmann innerhalb dieses Sektors an anderer Stelle, wie zum Beispiel in der IT, tätig ist. Der externe IT-Fachmann bringt nicht den Blick mit, den es braucht, um das Umfeld zu verstehen.“
Nach einer Stunde hätten wohl viele Studierende gerne weiter Fragen gestellt und sich die freimütigen und oft mit einer Prise Humor gewürzten Antworten von Christine Vogler angehört. Prof. Dr. Liane Meyer dankte Christine Vogler herzlich für deren Zeit und Offenheit: „Ich denke, es hat den Studierenden sehr geholfen, Ihre eigenen Erfahrungen zu hören, und Tipps für ihre eigene Zukunft zu bekommen.
Text: KAB, Foto: Reiner Freese